Dokumenta 14
von Jürgen Bosse
Teil 1
Du trittst aus den Katakomben und der schwülen Luft der Tiefgarage und erblickst das Parthenon der verbotenen Bücher. Fein eingehüllt in Cellophan stapeln sich Titel wie Harry Potter, Sakrileg von Dan Brown und Autoren wie Kafka oder Rushdie. Wie leicht wäre es den Cutter zu schwingen und der eigenen Bibliothek verbotene Bücher einzuverleiben. Verboten macht sexy! Allerdings natürlich nur die Bücher, die du noch nicht gelesen hast.
Also weiter: es gibt viel zu sehen – gleich nebenan das Fridericium oder jetzt ‚BEINGSAFEISSCARY‘. Es ist mittag und die Sonne steht. Die Schlange der Wartenden ist lang aber nicht sehr lang und es geht quälend langsam vorwärts (eine Eigenheit von Warteschlange). Du schaust nach Nebeneingängen – eine Treppe in die Kellergänge – ein Schild zeugt von Kunst im Gewölbe. Nimm die Kunst mit und schaue nach Abkürzung. Die Kontrolldame vernichtet die Hoffnung nach indirect access, was bleibt, ist das Gewölbe, Abkühlung und Videokunst: Ein Mensch trägt einen Kanister – vermutlich Benzin (oder vielleicht Diesel?) – zu einer Gruppe Arbeiter und einem Radlader. Die Kulisse läßt ehemalige ‚Grüne Hölle‘ erahnen.
Hinaus in die Sonne, der Schlange nach nicht viel und die Mitreisenden stehen immer noch. Rad-Touries und Segway-Truppe bilden kurze Abwechslung. Die Flucht in den Schatten am Eingang lässt den Knick in der Schlange erkennen: Rechter Winkel – fast. Ein Aufpasser trottet vorbei: Rucksackträger sind potenzielle Terroristen und können sich in der Garderobe kostenlos übergeben. Tragetaschen in IKEA-Format sind gern gesehen, nur die Flaschen müssen am Tor bleiben.
Dann betrittst du die kühlen Ausstellungsräume. Eine Videoprojektion tätowiert die Nasen und Münder der Besucher in grell bunt. Ist nicht jeder ein Visitor in diesen Hallen? Die Orientierung fällt schwer. Wohin die Schritte lenken? Dort eine Gruppe kopfloser Gestalten gestützt auf ihre Koffer – wartend. Vielleicht eine Replik aus dem Auswanderer-Haus in Bremerhaven. Ein Stühlchen gehalten und verhüllt durch eine rote Schleppe und dann die Monströsität eines NATO-Draht Regal-Systems. Du trittst den Rückzug an - der rechte Flügel empfängt dich mit dem dröhnenden Schlag eines magnet-getriebenen Schlegels gegen einen überdimensionierten Wetzstahl. Die Augen aus dem Kopf eines 100DM-Scheines verfolgen deinen Weg. Der nächste Metallschlag dröhnt: Eine Spiegelskulptur zersplittert dein Ebenbild, zeigt dich in anderem Blickwinkel – die Kunstwerke der Griechen an den Wänden ebenfalls. Boing – du willst raus: das Treppenhaus eine Videoinstallation mit Oberkörpern, knappen Gesten, Augenrollen und einem Hering.
Nächste Etage: ein Bild von einer Ozeanwelle bedrohlich, überwältigend, gigantös in Öl. Die Exposés verschmelzen – der Overkill schreitet voran: ein gigantischer Webstuhl. Ein Raum voller gespannter Edelstahl-Seile auf Sand erinnern an Tennisnetze. Aber auch hier gilt ‚Betreten Verboten‘. Wie wäre es eine Cola-Dose dort in der Mitte zu platzieren – mit einer Angel oder zu Fuß und Howie sänge ‚Deine Spuren im Sand‘. Die Flut würde höchstens durch einen Wasserschaden zu realisieren sein.
Weiter. Die Klänge einer Militärkapelle und die einpeitschenden Worte eines fremdsprachigen Demagogen drängen dich zur Flucht. Allein der Anblick einer übernächtigten Dienerin der Kunst erheitert das Gemüt – doch wie abgestumpft muss man sein, diese Klänge und den Anblick derartiger Kunstsubjekte ertragen zu können? Bekommen die Angestellter Schmerzensgeld? Bedenken Künstler was ihre Sujets in den Seelen anderer Menschen anrichten? Dich zieht es an und du schaust. Dir gefällt es nicht und du gehst, kannst gehen, rennen, fliehen.
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